Was gibt es Neues im Forum und auf der Seite?
Moderator: Team
Author: xanadu » 23.02.2010, 00:27
Nachruf: Günter Freiherr von Gravenreuth Ghandy am Montag, 22.02.2010 20:48 Uhr
Gehasst, gefürchtet oder als kompetenter Berater geschätzt - die Netzkultur ist in all den Jahren höchst unterschiedlich mit ihm umgegangen. Entweder sie verabscheuten ihn oder hatten den Anwalt auf ihrer Seite. Neutrale Aussagen finden sich auch jetzt nach dem Tod kaum
Der Markt für den Heimcomputer Amiga wackelt verdächtig und beginnt langsam aber sicher in die Knie zu gehen. Freiherr Günter von Gravenreuth hatte sich schon in den 80er Jahren einen Namen damit gemacht, die Raubkopierer der C64-Szene zu jagen. Markus Wiederstein und die anderen Mitglieder der C64-Gruppe Radwar wurden selbst von ihm verfolgt und haben ihn dennoch zu zahllosen Paintball-Wettbewerben oder Szenepartys eingeladen. Die Jagd geht in Köln weiter. In diesem Fall dient sie aber lediglich Showzwecken. Einige weniger kundige Szenemitglieder haben anlässlich einer Amigamesse die Telefonnummer ihrer illegalen Mailbox an der Szenewand hinterlassen. Gravenreuth kennt die Mitglieder der deutschen Warezszene vom Sehen. Man trifft sich, spricht miteinander. Jeder bleibt aber auf seiner Seite. Er hastet vom Gang zur Wand und beginnt die Nummern der Mailboxen zu notieren. Die Autoren, noch immer mit Edding oder einem anderen Stift bewaffnet, bemerken dies und fangen sogleich an, ihre Einträge unleserlich zu machen. Der Freiherr hat, was er wollte: Aufmerksamkeit. Grinsend geht er von dannen, den Zettel mit den BBS-Nummern wirft er an der nächsten Ecke weg. Er wusste genau, dass kein echter Insider so blöd gewesen wäre, Hinweise auf die eigene Identität zu hinterlassen. Von der Telefonnummer einer Mailbox bis zum Realnamen des Anschlussinhabers ist es kein weiter Weg.
Es gab das Internet zwar rein theoretisch, es wurde aber fast ausschließlich von Professoren oder ihren Studenten genutzt. Illegale Software wurde anderweitig ausgetauscht. Versuchte Günni zu C64er-Zeiten die Mailswapper hochzunehmen, so hatte er es weit später auf die Sysops der bulletin board systems (bbs) abgesehen. Gecrackte Spiele wurden früher in Form von Disketten an anonyme Postlagerkarten (PLKs) verschickt. Zeigte jemand bei der Niederlassung der Post die PLK vor und nahm die Briefe in Empfang, so konnte er von der Polizei überführt werden. Wer in den 80ern über genügend Kontakte verfügte, tauschte so seine Spiele aus. Der Rest bekam sie gegen Bares geschickt. Später kamen die Akustikkoppler, Modems und viel später das Internet dazu.
Und dann kam Tanja ...
Die Hobbytauscher sollten natürlich ebenfalls mit Abmahnungen bedacht werden. Für seine Tanja-Briefe heuerte er extra ein professionelles Model an, die gegen Gebühr ihr Abbild für seine Briefe zur Verfügung stellte. In regelrechten Bettelbriefen wurden die Anbieter von der jugendlich aussehenden Tanja Nolte-Berndel gebeten, ihr eine Liste mit ihren illegalen Warez zu schicken. Sie wäre ein armes Mädchen und hätte demnach kein Geld für Spiele. Wer so sozial war und es tat, war dran und bekam umgehend Post aus München. Günni, wie man ihn in der Szene liebevoll nannte, wurde stets nachgesagt, dass er neben den Abmahnungen auch Gelder von Softwareschmieden bekommen hätte. Manche Hersteller hätten eine Art Kopfgeld pro Raubkopierer ausgesetzt. Echten Mitgliedern der Szene konnte man mit derartigen Briefen sowieso nicht ans Leder gehen, aber es gab genügend Unwissende, die auf diese Masche hereinfielen.
und Kim Schmitz aka Kimble.
Allerdings kam GvG nicht ohne die nötigen Kontakte an die Szene heran. Also heuerte er den wannabe-Hacker Kim Schmitz an. Kim war bekannt für sein riesiges Ego. Und dafür, dass er viel sprach, aber wenig Ahnung von irgendwas hatte. Anstatt selber zu hacken, ließ er sich von gutgläubigen Insidern mit brisanten Informationen versorgen. Mitte der 90er baute sich Kimble eine Existenz in der Warezszene auf. Mithilfe zahlloser Calling Cards (CCs) entlohnte er alle Uploader, die sein Münchener BBS "House of Pain" brav mit Warez füllten. Calling Cards waren zu diesem Zeitpunkt für viele die einzige Möglichkeit, umsonst zu telefonieren, nachdem die illegale Benutzung der Satelliten von MCI und AT&T nicht mehr funktionierte. BlueBoxing nannte sich das Verfahren, bei dem den Satelliten durch bestimmte Frequenzen vorgegaukelt wurde, dass der Teilnehmer aufgelegt hätte. Nachdem der Satellit die Leitung freigab, verfügte man über eine Leitung, die man kostenfrei missbrauchen konnte. Bis Kim Schmitz sein Verfahren im deutschen Fernsehen vorführte, war die Telekom ahnungslos. Dazu kam, dass sie auch an der exessiven Benutzung der 0130er-Nummern verdiente. Nachdem gegen die Schwarztelefonierer Blocker und Filter eingesetzt worden waren, ging es kostenfrei nur noch über den Umweg über die CCs. Doch Kimble wollte nicht nur ein schnelles Board haben, er wollte Mittelpunkt der Szene sein. Schmitz gründete die PC- und Konsolengruppe Romkids und ließ sich von Suppliern mit unveröffentlichten Nintendo-Spielen und PC-Software versorgen. Doch damit nicht genug. Kim Schmitz trat der zumeist britischen Amiga-Gruppe Loons bei, die zu diesem Zeitpunkt einige größere Spiele über mehrere Disketten illegal in Umlauf brachte. Die Amiga-Spiele waren letztlich auch der Schlüssel für Kim Schmitz, um sich Zugang zu rund einhundert illegalen Mailboxen in ganz Deutschland zu verschaffen. Es sprach sich schnell herum, dass er in der Szene angekommen war und die neuen illegalen Veröffentlichungen zeitnah hochladen konnte. Für viele Betreiber Grund genug, ihr Misstrauen über Bord zu werfen und ihn in ihr System zu lassen. Schmitz lud hoch & 'runter und machte Mitschnitte aller Dateien, die dort verfügbar waren. Mit den Captures ging er zu Gravenreuth, der Schmitz wiederum pro Bust bezahlt haben soll. Für Kimble hatte dies mehrere Vorteile. Er selbst stand unter dem persönlichen Schutz des Münchener Rechtsanwalts und konnte sich seiner unliebsamen Mitstreiter nach Gusto entledigen. Später ging die Zusammenarbeit so weit, dass man gemeinsam eine Telefonhotline für die Szene erstellt haben soll. Szenetalk nannte sich diese und bot den Anrufern mehrere Räume, wo die Szenemitglieder aus aller Welt miteinander sprechen konnten. Angerufen wurde lediglich auf Kosten der wahren Eigentümer der CCs. Schmitz kassierte also doppelt ab: Als Betreiber der Hotline und als Großhändler der illegalen Telefonkarten. Wie Evrim Sen in seinem Buch Hackertales erzählt, hat Gravenreuth seinen Lieferanten irgendwann einfach nicht mehr bezahlt. Kimble hörte auf GvG mit Informationen zu versorgen, Szenetalk schloss seine Pforten und Schmitz wandte sich anderen Projekten zu.
Der einzige bekannt gewordene Nachfolger von Kimble war Darklord, doch die Zusammenarbeit hielt nicht lange an. Viel war nach den Hausdurchsuchungen, die er beauftragt hatte, eh nicht von der Szene übrig geblieben. Die Riege der alten Garde war fast vollständig zerstört worden. Wen es selbst nicht traf, der machte sich aus Sorge um rechtliche Probleme auf die Suche nach einem anderen Hobby. Oder man nutzte den günstigen Augenblick, um das Szenario ohne einen Gesichtsverlust zu verlassen. Manche Wiederholungstäter indes wurden gleich mehrfach von der Polizei mit einem Besuch bedacht. Die, die es absolut nicht sein lassen konnten, dürften gleich mehrfach mit ihrer Kopfprämie Geld in Gravenreuths Kasse gespült haben. Doch auch der Freiherr wurde irgendwann der Cracker überdrüssig. Er wechselte ins Markenrecht und vertrat beispielsweise die Software-Firma Symicron, die die Rechte am Markennamen Explorer besaß. GvG verschickte zahllose kostenpflichtige Abmahnungen an heise und viele andere Firmen, die sich dessen nicht bewusst waren. Die taz und der Anfang vom Ende. Seinen Anfang hatte er als Abmahner von Nachahmungen gemacht. "Asterix und das Atomkraftwerk" war eines der bekanntesten Werke, dessen Urheber er verfolgte. Dass diese Asterix-Parodie von der linken Szene vertrieben wurde, kam dem als konservativ geltenden Mann sehr recht. Gegen Linke zu klagen kostete ihn am Ende aber den Kopf. Hätte er die Finger von der taz gelassen, so würde er wahrscheinlich heute noch leben. Der Gang durch alle Instanzen hatte ihm nur Aufschub bringen können. Letztlich wurden 14 Monaten ohne Bewährung verhängt, bis Ende Februar 2010 wurde ihm Haftaufschub gewährt. Die Kanzlei auflösen wollte er nicht, ins Gefängnis gehen oder in ein anderes Bundesland umziehen auch nicht. In Hessen wären die Haftbedingungen seichter ausgefallen, er wäre wahrscheinlich in den offenen Vollzug gekommen. Doch den Umzug hätte man ihm als Flucht, als Niederlage auslegen können. Ein Gesichtsverlust egal welcher Ausprägung kam für ihn absolut nicht in Frage. Den Gegnern durfte man diesen Gefallen nicht tun.
Das finale taz-Urteil blieb ihm bei einem Telefoninterview mit gulli im wahrsten Sinne des Wortes im Halse stecken. In einer Tankstelle hatte er sich für seine Rückfahrt nach München völlig ausgehungert ein trockenes Stück italienisches Brot gekauft, welches er übereilt herunterschlang. Günni war noch nüchtern, das Verfahren hatte sich über den ganzen Tag hingezogen. Bei Tempo 160 fing er auf der Autobahn während des Telefonats plötzlich an stark zu husten, das Gespräch stockte für mehrere Minuten völlig. Später erklärte er dem völlig aufgelösten Redakteur, er hätte am Steuer keine Luft mehr bekommen.
Wie aber sollte man diesen Mann beschreiben, der letzte Nacht gestorben ist? Stur und unbelehrbar war er. Allen drei Streithähnen: ihm, fastix und auch Rechtsanwalt Neuber hatten wir telefonisch vorgeschlagen, sich gemeinsam in einem Boxring einzufinden, um dem Streit endlich ein Ende zu bereiten. Nein, das wollte er nicht. Seine Kontrahenten wollten dies übrigens genauso wenig. Gravenreuth war gnadenlos zu anderen wie zu sich selbst. So wie er unzählige Menschen mit Abmahnungen überzogen hat, so hat er am Ende gnadenlos und konsequent mit sich selbst abgerechnet. Ich wurde heute vom Focus gefragt, ob er mit seinen Serienbriefen das Vorbild heutiger Abmahnanwälte darstellt, was ich nicht endgültig beantworten konnte. Fest steht: Es hätte viel aus Gravenreuth werden können, hätte er manche Dinge im Leben anders angepackt. Lange Zeit hatte er den richtigen Riecher, wie man mit minimalem Aufwand viel Geld verdienen konnte. Egal ob es Verlage, Asterix-Nachahmer, Raubkopierer oder Firmen waren, die Markenrechte verletzt haben. Günni war bestens informiert und nicht selten der Erste, der derartige Verfahren angewendet hat. Nicht vergessen darf man auch, dass GvG über die Ursprünge der Cracks Bescheid wusste, als die hiesigen Polizeibeamten die 5 ¼ Zolldisketten noch mit Briefen zusammen in die Akten tackerten. Andere Experten in Grün hatten haufenweise Daten vernichtet, indem sie nach einer Hausdurchsuchung die beschlagnahmten Disketten auf die Lautsprecherbox des Busses gelegt hatten. Bei der Auswertung hat sich das Magnetfeld des Lautsprechers recht positiv für den Cracker ausgewirkt, Polizei und Staatsanwaltschaft hatten das Nachsehen. Als Early Adopter jeglicher Rechtsfragen im Internet und in Verbindung mit Computern hätte von Gravenreuth sich einen guten Ruf erarbeiten können.
Im stillen Kämmerlein seine Erfolge feiern wollte er aber nicht. Er wollte lieber im Mittelpunkt stehen. Lieber verrufen und bekannt sein als austauschbar einer von vielen sein. So war er. Er hat kein Paintballmeeting, keine Radwar- oder Rainbow-Party, keine gulli wars-Abschiedsfeier ausgelassen. Immer weiter und weiter, bis der letzte Vorhang fällt. Und er war jemand, der auch gut über sich selbst lachen konnte. Der 1999 auf der Cologne Conference mit Dartpfeilen auf sein eigenes Konterfei warf. Ein ausgedruckter Günni mit Pickelnase, abstehenden Ohren und unsauberer Haut. Ein Jahr zuvor hatten wir ihn noch der Tür verwiesen. Später erkannten wir, welchen Entertainmentfaktor wir damit freiwillig aufgegeben hatten.
Vorhin erreichte mich eine E-Mail. Die Polizei hätte den Toten bislang nicht identifizieren können. Die Leiche sei bis zur Unkenntlichkeit verfremdet, bislang sei keine eindeutige Zuordnung möglich. Alles nur Show? Sollte Günni grinsend im Flieger gen Kuba sitzen und uns alle gelinkt haben? Wohl kaum, dafür fehlte ihm schon seit Jahren das nötige Kleingeld. Außerdem würde er sich nach kürzester Zeit langweilen. Internet in der Pampa? Nichts für ihn. Außerdem: Wer in Kuba kennt schon einen Herrn Gravenreuth? Und wer will dort Storys über heise, taz oder fastix hören? Ganz ehrlich: Wie lange würde er es aushalten, nicht in diversen Foren hereinzuschauen und doch einen Kommentar zu hinterlassen. Es gibt Leute, die können nicht nicht posten. Er gehörte klar dazu.
Wenn sich die Menschen in Köln verabschieden, sagen sie "maat et joot"! Günter, im nächsten Leben machste einfach so einige Dinge anders! Ob sie dich gemocht oder gehasst haben, so werden die Mitglieder der Netzkultur dennoch zugeben müssen, dass das Internet ohne dich nicht mehr das gleiche ist.
Quelle
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xanadu
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Author: cuancho4000 » 26.02.2010, 16:58
Was soll ich schreiben....kenne diesen Mann nicht.
Beileid für die hinterbliebenen aber mehr auch nicht.
Hier noch was ich bei uns im Forum gesehn habe.
Zitat:
Nachtrag:
Nachtrag vom 22. Februar 2010, 13:08 Uhr:
Steffen Wernery, einer der Gründer des Chaos Computer Club, hat die Abschiedsmail von Gravenreuth erhalten. "Finanzprobleme, die nicht ausgestandene Strafsache, der Verdacht auf Krebs - letztlich aber schwere Beziehungsprobleme und der Entzug seines sozialen Umfeldes, sind laut seinen letzten Worten die Hintergründe", so Wernery in einer E-Mail an Golem.de.
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Günter von Gravenreuth
Abmahnanwalt geht mit "letztem Gruß in die Runde"
(111) Von Hermann Weiss 22. Februar 2010, 17:12 Uhr
Ein stiller Abgang hätte nicht zu ihm gepasst. Bevor Günter von Gravenreuth, 61, berüchtigter Münchner Abmahnanwalt mit Schwerpunkt Urheberrecht, in der Nacht zum 22. Februar in seiner Wohnung in München-Schwabing zur Schusswaffe griff, um seinem Leben ein Ende zu setzen, versandte er noch eine E-Mail
Zitat ende.
Ja am ende ist man immer allein...aber warum war dieser Mann allein. Ja da sag ich nur an die Nase fassen, Alter.
"Dummheit frisst, Intelligenz säuft, das Genie macht beides."
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cuancho4000
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